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„Regiewerkstatt“Schauspieler des Jungen Theaters Leverkusen wechseln die Seite

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Von Krankenhausdramen über Beziehungskomödien bis hin zu Dostojewski – sechs kurze Stücke, inszeniert von Ensemblemitgliedern und Gästen, begeistern ein ausverkauftes Haus.

Von Krankenhausdramen über Beziehungskomödien bis hin zu Dostojewski – sechs kurze Stücke, inszeniert von Ensemblemitgliedern und Gästen, begeistern ein ausverkauftes Haus.

Einmal alle drei Jahre werden die Schauspielerinnen und Schauspieler zu Regisseurinnen und Regisseuren.

Die Regiewerkstatt ist ausverkauft, nur etwa alle drei Jahre findet sie statt. Der Grund: Sie verlangt dem JTL-Ensemble alles ab. „Wir entwickeln, schreiben und inszenieren die Stücke eigenständig“, erzählt Sofia Friedmann. Sechs Stücke umfasst der Abend, alle um die fünfzehn Minuten lang. Entstanden ist ein Panorama aus Beziehungen, Verlust, Freundschaft, Tod und Selbstfindung – mit einem feinen Gespür für Humor, Tragik und menschliche Tiefe.

Den Auftakt macht „Jede Sekunde zählte“, inszeniert von Oliver Krezdorn. Zwei Schauspielerinnen auf weißen Boxen, kaltes Licht, lange Schatten – mehr braucht es nicht, um Intensität zu erzeugen. Im Zentrum steht ein moralisches Dilemma: Der Vater einer jungen Frau stirbt im Krankenhaus, nachdem eine überlastete Krankenschwester – gespielt von Kira Jockers – ihm ohne ärztliche Anweisung Morphium verabreicht hat. „Ich habe dir doch gesagt, ich schaffe das“, sagt die Tochter (Hanna Nagy), während sie rückblickend mit dem Tod ihres Vaters ringt.

Ein Chat mit dem Sterbenden wird szenisch nacherzählt – ein erschütternder Moment. „Ich bin auf Station 3B, alles gut“, schreibt der Vater. Und das Publikum weiß: Es war nicht alles gut. Der Abend beginnt so mit einem Schlag in die Magengrube – und einem stillen Nachdenken über Verantwortung und Schuld. „Alle Stücke sollen zum Nachdenken anregen“, so die Moderation etwas platt.

Leverkusen: Ein Abend, der nur alle drei Jahre möglich ist

Ganz anders, aber nicht weniger eindrücklich ist Sofia Friedmanns Inszenierung „Eigentlich sind wir glücklich“. Hier stehen Diashow-artig Beziehungsszenen im Vordergrund: pointiert, liebevoll, chaotisch. Auf einem viel zu kleinen Sofa ringt ein Paar zwischen Nähe und Genervtheit. „Ich habe dir nur eine einzige Aufgabe gegeben – einen Brief abzugeben“, sagt sie, verkörpert von Hannah Görres, halb empört, halb belustigt. Der Mann (Oliver Krezdorn) hat ihn – natürlich – vergessen. Später hat er Grapefruits statt Mandarinen eingekauft – ein Lacher, der durch den Saal rollt, weil er, wie alles an dem Stück, so herrlich alltäglich ist. Das Publikum erkennt wohl sich oder Bekannte in diesen kleinen Momenten wieder. Es sind doch nur Kleinigkeiten – oder vielleicht doch nicht?

Einen harten Kontrast setzt Maia Dragoman mit „Welch eine Ewigkeit“. Ihr Stück, zusammengesetzt aus Briefen und Romanausschnitten von Fjodor Dostojewski, handelt von Leben und Tod, von der Angst vor dem Ende und dem Wert jeder einzelnen Minute. Dostojewski selbst entging 1849 nur knapp seiner Hinrichtung, bevor er Jahre im sibirischen Straflager verbrachte. Diese Erfahrung prägt den Text und Dragoman lässt daraus ein fragmentarisches, fast traumhaftes Stück entstehen: Schreibtisch, Papier, Schatten, Stimme. So anders als die Beziehungskomödien zuvor.

Geister, Dates und Blüten: Humor und Poesie im Jungen Theater Leverkusen

Nach der Pause kehrt der Humor zurück – mit „Das traurige Gespenst“ von Blue Breuckmann. Ein alter Bahnsteig, ein junger Mann, ein Gespenst. „Du kannst mich nicht berühren, ich bin ein Gespenst“, haucht Sofia Friemann ulkig und der ganze Saal lacht. Zwischen Zigarettenrauch und Einsamkeit entsteht eine unerwartet zarte Freundschaft, die mit einem augenzwinkernden Twist endet. Denn an diesem Ort lebt ab jetzt ein anderes trauriges Gespenst – mehr sei nicht verraten.

Den Abschluss bildet Hanna Nagys poetische Regiearbeit „Pflücke Blumen für Dich“.

Den Abschluss bildet Hanna Nagys poetische Regiearbeit „Pflücke Blumen für Dich“.

Dann wird es modern: In „DD/AA/TTEE“, der Inszenierung von Kira Jockers, wird ein Date gezeigt, das zum Sinnbild des digitalen Zeitalters wird. „Also ist das hier ein Date?“, fragt Kira Jockers, halb ironisch, halb verloren. Die Szene spielt in einem minimalistischen Restaurantsetting – er (Davide Raul Reibaldi) meint es ernst, flüchtet sich in Smalltalk, dann in Gedanken. Lichtwechsel in Grün und Rosa, bevor es in einem bitterkomischen Moment gipfelt: Der Mann geht „zur Toilette“. Und das Publikum weiß, dass nun er geflohen ist.

Den Abschluss bildet Hanna Nagys poetische Regiearbeit „Pflücke Blumen für Dich“. Tabea Schirin Nazemian allein auf der Bühne, umgeben von Plastikblüten, versinkt in der Liebe – und verliert sich in ihr. Sie erkennt: Sie liebt sich selbst gar nicht.

Was diese Regiewerkstatt also so besonders macht, ist die Unmittelbarkeit. Kein Stück gleicht dem anderen und doch verbindet sie alle eine gemeinsame Haltung: der Wille, sich auszuprobieren, Grenzen zu überschreiten und Themen zu berühren, die im Alltag oft unausgesprochen bleiben. Ob Schuld, Liebe, Tod oder Selbstfindung – hier wird alles verhandelt, was das Leben ausmacht. Man spürt, dass im JTL nicht nur gespielt, sondern gedacht, gefühlt und experimentiert wird. Ob die Produktionen noch mal gezeigt werden, steht noch nicht fest.